Die Gersweiler Meierei

 

 

 

I. Mittelalter bis Ende 16. Jahrhundert

 

3. Die Herrschaftsverhältnisse im Mittelalter

 

Wesentlich für die mittelalterliche Verwaltung und das dörfliche Leben waren die grundherrschaftlichen und die gerichtlichen Verhältnisse. Die Dorfleute von Aschbach, Gersweiler und Ottenhausen hatten Rechte und Pflichten gegenüber dem Stift St. Arnual und dem Grafen von Saarbrücken, dessen Burg nur 3 km vom Stift entfernt stand.

 

 

3.1. Das Stift St. Arnual

 

Es hatte im Mittelalter großes Ansehen und war durch Schenkungen sehr wohlhabend geworden. Lange Zeit war es der Mittelpunkt des Lebens der hiesigen Gegend.

 

Der Dekan oder Dechant war als Oberhaupt und Hauptgeistlicher eine sehr angesehene Person. Pfarrei war nur St. Arnual. Aschbach gehörte zu den Filialen, deren kleine Kirchen von gering besoldeten Vikaren oder Kaplänen betreut wurden. Hier durften nur Messen, Beichten und Kommunionen gehalten werden, während Taufen, Heiraten und Beerdigungen der Mutterkirche St. Arnual vorbehalten waren. Das Stift besaß in den Filialgemeinden das Patronatsrecht und den Zehnten mit der Verpflichtung, den Geistlichen zu besolden.

 

Die wichtigsten Einnahmequellen des Stiftes waren der ausgedehnte Stiftswald, Einkommen aus Zehntlieferungen und Kapitalien und Geldrechte, die aus milden Schenkungen, Grundrenten und dem Verkauf überschüssiger Zehntlieferungen resultierten. Das Stift erhielt von den armen Leuten den großen und kleinen Zehnt. Die Stiftsherren waren die Bannherren des Aschbacher Bannes. Sie übten die niedere Gerichtsbarkeit aus.

 

Die Kirche der damaligen Zeit besaß eine große Macht. Das verführte leicht zu einer Lebensweise, die in krassem Widerspruch zum geistlichen Beruf und den Regeln des Klosterlebens standen. So rügte 1180 der Bischof Bertram von Metz die Brüder von St. Arnual, sie würden sich mehr um Milch und Wolle und um ihre Einkünfte kümmern, als um das Seelenheil der ihnen Anvertrauten.1

 

Seit ihrer Gründung waren die Dörfer Gersweiler und Ottenhausen zum Stift gehörig. Sie lagen auf dem Bann von Abesbach, später Aspach, der zum ältesten Stiftsbesitz zählte. Die Zugehörigkeit zur advocatio St. Arnualis ist durch zahlreiche Urkunden belegt.2

 

Noch 1605 berief sich die Gemeinde Gersweiler darauf, indem sie angab, daß Bann und Bezirk Aschbach, in dem die Dörfer Gersweiler und Ottenhausen lagen, von alters her wie das Dorf St. Arnual demselben Stift als Grundherrn zugehörte.3

 

Ursprünglich waren die grundherrschaftlichen Rechte des Stiftes unangefochten. Diese alten stiftischen Rechte dokumentieren sich noch heute im reichen Waldbesitz (Stiftswald) bei Gersweiler.

 

 

3.2. Die Grafen von Saarbrücken

 

Das Stift St. Arnual übertrug den Grafen von Saarbrücken die Schirmvogtei (Schirm = Schutz) über die Stiftsgüter und das Gotteshaus St. Arnual. Ein Graf zu Saarbrücken war von alters her Vogt und Kastvogt (Gotteshausvogt, von lat. casa = Haus) zu St. Arnual und zu allen dazugehörenden Höfen. Deshalb mußte er diese beschirmen vor aller Gewalt nach seinem Vermögen.4 Die tägliche Bedrohung der menschlichen Existenz war im Mittelalter die Regel, Friede und Sicherheit waren die Ausnahme.

 

Die Schirmvogte gaben ihre Vogteigüter wiederum an Untervogte oder Vasallen. Diese mußten mit dem Hauptvogt Gefälle und Renten (Abgaben) teilen und Jahr und Tag Burghut in Saarbrücken tun. Welcher Art die Schirmverpflichtungen waren, ist in einem Weistum aus dem 14. Jahrhundert festgelegt: Die Herren von Kirkel als Untervögte der Grafen von Saarbrücken waren verpflichtet, die Leute zu beschirmen und zu behüten vor Gewalt und vor Unrecht, vor Brand und vor Raub, vor Übergriffen anderer Herren, damit sie mit Gnaden und Frieden bei ihren Gütern bleiben konnten, und ihrem rechtmäßigen Herrn die ihm zustehenden Abgaben zu geben.5

 

Um 1200 trat als Lehnsinhaber Johannes von Siersperch (Siersburg) auf. 1263 war ein Johann von Kirkel als Untervogt zu St. Arnual mit Teilen von Gersweiler und Ottenhausen beliehen. Dieses Lehen ging auf seine Erben und deren Nachkommen über. 1380 verpfändete ein Johann von Kirkel die Orte Gersweiler und Ottenhausen an den Ritter Niclas von Gersbach. 1413, nach dem Tod von Niclas von Gersbach, fiel das Lehen an den Grafen zurück. Graf Philipp verlieh nun die Untervogtei nicht mehr und erweiterte damit seinen Machtbereich erheblich.

 

Der Graf von Saarbrücken als Kastvogt hatte die Hochgerichtsbarkeit. Dem Kastvogt war vorbehalten, über Diebstahl, Notzucht, Nachtbrand, Mord und sonstige Gewaltverbrechen zu richten.6 Er allein hatte die Berechtigung, Gedinge über Hals und Halsbein7 zu halten.

 

Die Herren von Kirkel besaßen keine Hochgerichtsrechte. Sie durften ohne Einwilligung des Grafen niemanden in Haft halten und mußten Verbrecher ins gräfliche Schloß nach Saarbrücken bringen. Die Herren von Kirkel wollten immer wieder ihren Gerichtsbereich ausdehnen. Sie machten Rechtsansprüche geltend, die sie gegenüber den Untertanen mit Gewaltmaßnahmen durchgesetzt hatten, mit Brennen und Rauben8, und die sich auch gegen die Saarbrücker Grafen richteten.

 

Nachdem diese Spannungen zwischen Vogt und Untervogt 1413 durch den Tod von Niclas von Gersbach beendet waren, verschärften sich die Differenzen zwischen dem Kastvogt und dem Stift St. Arnual, wo die Geistlichen einen ungeistlichen Lebenswandel führten. Diese fanden schließlich 1568 im Erlöschen des Stiftes ihren Abschluß.

 

Schon 1321 hatte Graf Johann im Freiheitsbrief für die Städte Saarbrücken und St. Johann verboten, daß jemand, der nur einen Sohn hatte, diesen nicht ohne gräfliche Erlaubnis zum Pfaffen ausbilden lassen durfte. Bei mehreren Söhnen konnte jedoch ohne weiteres einer Priester werden.9

 

1417 bezeugt das Jahrgeding zu St. Arnual die Macht des Stiftes: Dechant und Kapitel konnten nach ihrem Willen, ohne den Vogt auch nur darüber zu befragen, Meier, Schöffen und Büttel einsetzen und entsetzen.10

 

Der Einfluß der Grafen vergrößerte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zunehmend. Sie dehnten ihre vogteilichen Rechte aus und machten daraus Rechte geltend wie aus reinem Grundeigentum. Um 1700 heißt es in einer Beschreibung der Meyerei Gersweiler, daß diese jeder Zeit und von alten Zeiten her, zusammen und samt ihren darin wohnenden Untertanen, Manns- und Weibspersonen, zu der Grafschaft Saarbrücken und den Grafen dieses Namens gehöre.11

 

Das Stift St. Arnual mußte gegen die Grafen einen zähen Kampf um seine Selbständigkeit führen. Die Grafen hoben nicht nur die Schirmherrschaft hervor, sondern entwickelten nach und nach ein Recht zur Oberaufsicht, das schließlich zur Landesherrschaft führte. Die starke Stellung des Landesherren ließ die Ohnmacht der Kirche weiter zunehmen.

 

Um 1500 verbot der Graf den Untertanen die Jagdhilfe für das Stift. 1528 beklagte Graf Johann Ludwig den Mißstand, daß das Volk die Kirche verließ und auf dem Kirchhof herumspazierte, sobald der Priester die Kanzel zur Predigt betrat, um das Evangelium und Gottes Wort zu verkünden. Er befahl als Hüter einer strengen Kirchenzucht allen Schultheißen, Meiern, Scheffen, Gerichten, Bütteln, Boten und Kirchengeschworenen bei ihren Eiden fleißig Aufsicht zu tun und Ungehorsame sofort den Amtleuten anzuzeigen.12

 

Graf Philipp II. erklärte 1548/49 die Bekämpfung der sittlichen Korruption innerhalb des Stiftskapitels zu seiner Pflicht. Die Mächtigen trugen ihre Auseinandersetzungen um Einfluß und Macht auf den Rücken der Untertanen aus, die ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Denn ihnen gehörten Mann und Bann, die Untertanen waren leibeigen. Die Herren hatten zu verbieten, "wie hoch sie wollen, dieweil sie Herren sind".13 Einen Beweis hierfür liefern uns die Streitigkeiten zwischen dem Stift St. Arnual und dem Grafen von Nassau-Saarbrücken, Johann IV., über das Eigentum in Gersweiler (1568).14

 

 

3.3. Die Gerichtsbarkeit im Mittelalter

 

Das Recht war bis ins 13. Jahrhundert ungeschriebenes Recht. Erst ab dem 16. Jahrhundert gab es fest umrissene Dorfordnungen. Die Stadt Saarbrücken bekam 1321 im Freiheitsbrief durch den Grafen Johann eine Stadtordnung. Die Zeit vorher zeichnet sich aus durch Bestimmungen nach Gebrauch und Herkommen. In gemeinsamen Beratungen der Herrschaft mit der Dorfbevölkerung wurden die Rechtsnormen gefunden, die sowohl das Geschehen im Dorf, als auch die Stellung des einzelnen zur Dorfgemeinschaft regelten.

 

Das Jahrgeding war das normale Gericht, in dem alle zivilrechtlichen Streitigkeiten verhandelt und entschieden wurden. Es bestand für die Dorfbewohner eine Pflicht der Teilnahme. Gleichzeitig war es eine Versammlung, bei der alle anfallenden allgemein interessierenden Fragen behandelt wurden, Angelegenheiten, die die Verwaltung und den öffentlichen Frieden betrafen. Die Zeit der Gerichtstage war unbestimmt; sie wurden angesetzt, wenn es den Herrn dünkte und wenn er Zeit hatte15, d.h. es war in das Belieben der Herrschaft gestellt, Gerichtstage anzuberaumen.

 

Das Jahrgeding wurde in feierlicher Form gebannt; vor der Rechtsweisung mußte zuerst festgelegt werden, in welchem Raum sie galt. Den Bannspruch zitierte der Meier oder ein Schöffe. Es gab eine feste Rangordnung. Jeder hatte im Gericht seinen genau bezeichneten Platz.

 

Das Hochgericht verhandelte alle schweren Vergehen und Verbrechen. Sie wurden in Gegenwart des Hochgerichtsherrn, des Grafen von Saarbrücken, oder seines Stellvertreters abgeurteilt. Der Vorsitzende des Hochgerichtes war vielfach der Hochgerichtsmeier. Das strafende Gericht fällte seine Entscheidungen in einer feierlichen, sakralen Form. Der Geistlichkeit war es nicht erlaubt, den Blutbann auszuüben. Für die Kirche galt das Verbot, daß sie kein Blut vergießen, keine Strafen an Leib und Leben verhängen und vollstrecken durfte. Das Blutgericht ahndete alle Vergehen, wodurch der Schuldige nicht nur an seinem Gut, sondern auch an seinem Leib gestraft wurde.

 

Die scharfen Strafen im Mittelalter wurden öffentlich vollzogen. Es gab ein System von Leibes- und Todesstrafen, die zum Teil auf die grausamste Art ausgeführt wurden. Daneben konnten auch Geldstrafen verhängt werden. Diese Bußen und Besserungen sind in den Weistümern von St. Arnual genau beschrieben. Die hohen Bußen bekam der Kastvogt (60 Schilling 1 Heller), die Frevelbuße (7 Schilling) wurde geteilt (1417: Dem Vogt 5 Schilling und dem Kastmeier zwei Schilling, und wo der Kastmeier abläßt und die Gnade tut, soll auch der Vogt ablassen). Die Hof-Buße betrug in St. Arnual zwei Schilling, mehr durften die geistlichen Grundherren nicht erheben. Die Frevel-Buße wurde nur vom Vogt verhängt.16

 

Eine andere wichtige Quelle des mittelalterlichen Rechts und der Zustände überhaupt sind die Weistümer, in denen die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Genossenschaft und der Herrschaft, die in einem bestimmten Bezirk galten, festgelegt bzw. erneuert wurden.17

 

Im Wechsel von Frage und Antwort wurde der Stoff des Gewohnheitsrechts behandelt. Die einzelnen behandelten Gegenstände werden im Weistum von Völklingen (1422) genannt; und zwar werden Meier, Schöffen und Gericht gefragt, ob sie etwas wissen, das zum Nachteil des Grafen sei "oder andere zu rügende Dinge an Leuten, Gerichten, Wäldern, Wegen, Wassern, Weiden, Zug und Flug (Fisch- und Vogelfang), an Fließen, an Fahren, an Mühlen, Wiesen, Feldern, Äckern, Gärten, Hofstätten, Backhäusern, Bannofen, Gewichten, Pfunden, Massen, Eichmaß, Ellen oder anderen Sachen, nichts ausgenommen."18

 

Vielfach entsprach dieses Verfahren der Initiative der Herrschaft, die so die bäuerlichen Rechte und Pflichten eingrenzen konnte, jedoch zumindest einen Minimalkonsens mit der Bevölkerung erreichen mußte. Aus diesem Grund gibt es häufig Verwandtschaften von Weistümern in der gleichen Herrschaft, obwohl es auch lokale Sonderbestimmungen gibt. Da vom Gersweiler Bann weder Jahrgeding noch Weistum überliefert sind, ist es legitim, auch Weistümer von St. Arnual in die Untersuchungen mit einzubeziehen.

 

Wenige Weistümer gibt es aus dem 14. Jahrhundert. Aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert findet man mehr; zwischen 1450 und 1570 gibt es eine größere Zahl. Danach geht die Überlieferung zurück. Von besonderer Wichtigkeit für die Gersweiler Orte waren die Weistümer von St. Arnual, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts sowie zwischen 1417 und 1453 von den Grundmeiern und Schöffen aller Höfe erfragt wurden. Sie regelten den Grund- und Waldbesitz. Außerdem legten sie die Rechte des Stiftes gegenüber dem Grafen von Saarbrücken, der als Vogt eine bedrohliche Macht darstellte, fest. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gibt es ein Weistum der Grafen, das gegen das Stift gerichtet war, und worin der Graf dem Grundherrn seine Schranken wies.

 

Als Beispiele für Verwaltung, Gerichtsbarkeit und das Leben im Mittelalter überhaupt seien zwei St. Arnualer Weistümer kurz behandelt. Sie waren auch noch Jahrhunderte später für die Gersweiler Leute von Bedeutung.